Zwentibold brachte Kirdorf in die Geschichtsbücher
von Johannes Mausbach
Das Land um Kirdorf war im 10. Jahrhundert Königsgut. Große Landflächen an der Erft gehörten den Karolinger, den Nachfolgern von Karl dem Großen. Der Karolinger König Zwentibold, ein Abkömmling des ostfränkischen Kaisers Arnulf von Kärnten hatte auf einer Reise halt in Essen gemacht.
Zu Pfingsten im Jahr 898 ließ er dort eine Urkunde erstellen, in der er große Teile im Erftkreis einem Essener Stift vermachte. Dazu gehörte auch Kirdorf. Der Ort wurde explizit genannt und kam so zu seiner ersten schriftlichen Nennung. Kirdorf, vor allem der Oberhof Kirdorf, war über Jahre dominant in der Gegend, weil das Essener Stift die umliegenden Ländereien vom Oberhof aus verwalteten ließ.
Auch die Kirdorfer Kirche hatte im damaligen Gau eine exponierte Stellung.
Wer war dieser Zwentibold, der durch seine Unbesonnenheit schon bei seinen Zeitgenossen auffiel? Seine Zornesausbrüche und sein Mangel an Selbstbeherrschung waren gefürchtet. Er schlug seinem Kanzler, dem Bischof von Trier Ratbod, dessen eigenen Bischofsstock über den Kopf.
Zwentibold, was für ein Name. Hätte der Name nicht dem König in einem Kindermärchen gut angestanden? Richtige Könige heißen doch Karl, Ludwig, Lothar, Wilhelm oder Friedrich - aber beileibe nicht Zwentibold!
Als Zwentibold im Jahr 870 geboren wurde hatte sein Vater, Arnulf von Kärnten, Ärger mit dem Svatopluk I., König von Mähren, weil dieser 869 mit seinen Truppen gegen die Ostgrenze des Karolinger Reiches marschierte. Arnulf von Kärnten hoffte durch Politik der Anpassung eine Auseinandersetzung mit Svatopluk zu vermeiden. Er machte Svatopluk zum Taufpaten seines Sohnes. Den Taufnamen Svatopluk (lateinisch: Zwentibald) änderte Arnulf in die für fränkische Ohren angenehmere Form Zwentibold um. So kam der kleine Prinz zu seinem märchenhaft klingenden Namen.
Der Name von Zwentibolds Mutter ist nicht überliefert worden. Man nimmt an, dass die Konkubine Winpure seine Mutter war. Ihr wurde, nach der Geburt, ein Hof bei Nördlingen übertragen.
Im Jahr 887 setzte Arnulf von Kärnten „den Dicken“ - Karl III. ist gemeint - unter Mithilfe fränkischer Adeliger als Ostfränkischer Kaiser ab und ließ sich selbst zum König von Ostfranken ausrufen. 891 schlug er die Normannen bei Löwen und setzte damit dem nordischen Spuk ein Ende. In dem Jahr wurde sein Sohn Zwentibold 21 Jahre alt.
Konradiner
Adlige Franken vom 8. bis 11. Jhdt. aus dem Raume Trier. Sie starben 1036 aus.
Konkubine
Eine dauerhafte und nicht verheimlichte Form der geschlechtlichen Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau (Wikipedia).
Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Tod des großen Kaisers hatten seine Nachkommen im Vertrag von Verdun sein Reich in Ostfranken, Westfranken und Lotharingien geteilt. Lotharingien reichte unter Lothar I., der ihm den Namen gab, zwischen Rhein und Rhone von der Scheldemündung bis nach Italien. Durch weitere Teilungen versuchten Ost- und Westfranken Lotharingien ihrem Machtbereich anzuschließen, bis es endlich in den Einflussbereich Ostfrankens kam. In all diesen Teilreichen gab es nun Könige und fast alle begründeten ihre Rechtmäßigkeit mit der Abstammung von Karl dem Großen und den Karolingern.
König Arnulf vergab im Jahr 893 einen Teil der Lehen des erschlagenen Maifeldgrafen Megingaud an Zwentibold. Im gleichen Jahr schickte er ihn an der Spitze eines Heeres nach Pavia, um Arnulfs Widersacher Wido von Spoleto zu bekämpfen. Ein Jahr später versuchte Arnulf seinen Sohn Zwentibold mit dem Unterkönigtum Lotharingien zu belehnen. Diese Sache war heikel, denn die Großen Lotharingiens wehrten sich gegen dieses Ansinnen.
Oda, die Gattin König Arnulfs war wider Erwarten schwanger geworden und hatte im Herbst 893 einen Sohn geboren, der später als Ludwig IV. (das Kind) der letzte ostfränkische Herrscher werden sollte. Damit entfielen Zwentibolds Thronansprüche auf Ostfranken und Arnulf war umso mehr daran gelegen Zwentibold abzusichern.
Sein Vater ließ ihm in Gegenwart der ostfränkischen Großen und des westfränkischen Königs Odo von Paris wie einem fränkischen König den Krönungsmantel umlegen, ihn krönen und von den Vertretern der Kirche salben. Der Adel musste ihm huldigen. Sein Königtum war in jeder Hinsicht legitim, der Makel der illegitimen Geburt weggewaschen. In Lotharingien konnte er zeigen, was er konnte.
Die Kirche stand ihm zunächst positiv gegenüber. Erzkanzler als Vorsteher der königlichen Kanzlei wurde der Erzbischof von Trier, Rabot. Der Erzbischof von Köln stand als Erzkaplan der königlichen Hofkapelle vor. Diese Trennung in Erzkanzlei - und Erzkaplanei entsprach nicht den bisherigen Gepflogenheiten. Zwentibold ging es wohl um das Gleichgewicht des nördlichen und des südlichen Teils seines Königreichs, wobei Trier das traditionelle Übergewicht behielt. Hier ließ Zwentibold Münzen mit seinem Namen prägen und hielt sich als oberster Kriegs-, Gerichts- und Lehnsherr Lotharingiens meist dort auf. Er war inzwischen 25 Jahre alt und stolz auf die Machtfülle, die ihm anvertraut worden war.
Den Moselgrafen nahm er die Einkünfte und Rechte aus den Klöstern und Abteien Oeren und St. Maximin. Dem Grafen Stephan (Stephan von Chamonix und Bigau) entzog er die Herrschaft über den Trier- und den Bidgau in der Südeifel. Der Niederrhein und das Erzbistum Köln waren durch den häufigen Aufenthalt Zwentibolds in Trier in eine Randlage gekommen. Dort herrschte der mächtige Maasgraf Reginar, den er beim Feldzug gegen Odo von Paris als Freund gewonnen zu haben glaubte. In dessen Machtbereich lag die reiche Abtei St. Servatius zu Maastricht. Sie unterstand dem Erzbischof von Trier. Als Reginar ihm einen von den Gesandten des Trierer Erzbischofs gegengezeichneten Übernahmevertrag vorlegte, stimmte Zwentibold ihm zu. Er entzog dem Trierer Erzbistum alle Rechte an St. Servatius zu Gunsten Reginars. Die Stellung Reginars verstärkte er noch, indem er ihn "fidissimum et unicum consiliarium" - seinen treuesten und einzigen Ratgeber - nannte.

Papst Formosus. Diese Illustration stammt aus The Lives and Times of the Popes von Chevalier Artaud de Montor, New York.
Zwentibold hatte im ganzen Moselraum durch seine undiplomatische Art Unzufriedenheit ausgelöst. 897 berief Kaiser Arnulf eine Reichsversammlung nach Worms ein. Dort gelang es ihm, die Auseinandersetzungen zwischen Zwentibold und den lotharingischen Großen wenigstens fürs erste beizulegen. Zur Sicherung seiner Machtansprüche veranlasste er den ostfränkischen Adel, den Thronanspruch seines Sohnes Ludwig im Voraus zu garantieren. Zusätzlich verpflichtete er Zwentibold zur Eheschließung mit der Essener Kanonissin Oda.
Auf Grund der Sachlage gab König Zwentibold die Abtei St. Servatius am 13. Mai 898 feierlich an den Trierer Erzbischof zurück. Den betrügerischen Vertrauensbruch nahm Zwentibold seinem Waffengefährten sehr übel. Es kam zum Bruch und gegenseitiger Feindschaft der einstigen Freunde. Zwentibold verstieß Reginar von seinem Hof und entzog ihm alle Lehen und Ämter. Innerhalb von 14 Tagen musste er Lotharingien verlassen.
Reginar floh in seine nahezu uneinnehmbare Burg Doveren an der unteren Maas. Die von Zwentibold eingeleitete Belagerung wurde nach einiger Zeit abgebrochen. Danach begab sich Reginar zu Karl dem Einfältigen. Dieser war nach dem Tode Odos von Paris alleiniger Herrscher der Westfranken geworden.
Dort bestätigte er zu Pfingsten 898 dem Stift Essen die Schenkung, wohl auf Ansuchen seines Schwiegervaters Otto der Erlauchte und seiner Frau. Vielleicht erhoffte er sich dadurch Unterstützung vom sächsischen Adel, dem Otto angehörte. Ein Angriff Reginars auf dieses Gebiet hätte zwangsläufig ostfränkische Gegenmaßnahmen nach sich gezogen. Auch die kirchlichen Würdenträger wären auf den Plan gerufen worden. Und die Kirche verfügte damals noch über beträchtliche militärische Möglichkeiten. Für einen Krieg war also alles gerüstet.
Der Erzbischof Hatto von Mainz, dessen Bistum durch die Auseinandersetzung in Gefahr kommen könnte, setzte 899 auf ein Vermittlungsgespräch zwischen Zwentibold und Karl dem Einfältigen. Dadurch kam es zu einem Waffenstillstand.
Zwentibold hatte vor den weltlichen und kirchlichen Großen Lotharingiens das Gesicht verloren. Er hatte kaum noch Unterstützung. Sein Vater, den die Krankheit ans Bett fesselte, konnte ihm nicht mehr helfen. Als 899 Kaiser Arnulf starb, huldigten sie unter Anführung Erzbischofs Ratbod dem kleinen Sohn Arnulfs, Ludwig dem Kind.
Der Überlieferung nach wurde er zusammen mit seiner Frau Oda in der St. Amelberga - Abtei in Susteren (Niederlande) begraben. Bei archäologischen Untersuchungen unter dem Kirchenboden der Abtei hat man sehr wahrscheinlich sein Grab gefunden.
Die Meinungen über diesen letzten König von Lotharingien gehen auseinander. Die einen sehen in ihm einen wilden Haudegen, der über sein Tun kaum nachdachte. Andere sprechen von den Schwierigkeiten, die durch die eigenartige Sonderstellung Lotharingiens vor ihm auftürmten. Das Spannungsverhältnis, das das zerfallende Karolingerreich erzeugte, ließ ihm kaum Spielraum zu. Sein Versuch, die verbindende Funktion dieses Teilreiches zu betonen, scheiterte durch das Aufeinanderprallen mächtigerer Strukturen. 911 eroberte Karl der Einfältige Zwentibolds Königreich. So geriet sie bis in unsere Zeit in Vergessenheit.
Die Menschen, die in diesem Land wohnten, scheinen die besondere Funktion ihres Königs Zwentibold allerdings anders gesehen zu haben als der Adel oder die Politiker. In Susteren und Umgebung wird Zwentibold wie ein Heiliger verehrt, auch wenn ihm die kirchliche Anerkennung fehlt. In der Schatzkammer der ehemaligen Abtei Susteren, der heutigen Kirche St. Amelberga, werden die Schädel König Zwentibolds und seiner Frau Oda aufbewahrt. Die dortige Äbtissin Amelberga nahm, der Überlieferung nach, die drei Töchter Zwentibolds, Benedicta, Cecilia und Relindis in Obhut.